Kinder Unterstufe

Spiel

Wurzeln und Flügel - Gedanken über das Spielen

Spiel ist das Bewegungs- und Arbeitsprinzip des Lebendigen. Nur im Spiel lässt sich die Kraft des Widerstandes üben, die das Leben bewältigt. Das Spiel des Kindes unterscheidet sich vom Spiel des Erwachsenen .Das Kind spielt, damit es sich im Lebendigen bestätigt und betätigt. Der Erwachsene spielt, damit er in einer absterbenden Welt das Lebendige wieder finden kann. Die Arbeit des Kindes im Spiel kann den Erwachsenen erfreuen und anregen. Die übende Arbeit des Erwachsenen am Spiel kann die Welt des Kindes umgeben und schützen. Stirbt das Spiel, so stirbt das Lebendige. Die Kraft zur Arbeit wird aus dem Üben des Spieles gespeist. (Werner Kuhfuss 1992)

Denn, um es endlich auf einmal heraus zusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Satz, der in diesem Augenblick vielleicht paradox erscheint, wird eine große und tiefe Bedeutung erhalten, wenn wir erst dahin gekommen sein werden, ihn auf den doppelten Ernst der Pflicht und des Schicksals anzuwenden; er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigeren Lebenskunst tragen. (Friedrich Schiller 1789)
Skizzen aus der Praxis im ersten und zweiten Schuljahr

Die Kinder kommen in die Musik- oder Spielstunde (Spielturnen). Wie kommen sie? Was blickt aus ihren Augen? Wie fühlen sich ihre Hände an? Sind sie warm? Es macht Freude, mit den Kindern Kontakt aufzunehmen, sich auf sie zu konzentrieren, ihre Einmaligkeit zu erfassen. Gibt es eine gemeinsame Stimmung, die sie umgibt?

Wir stehen im Kreis. Nach der singenden Begrüßung beginnt ein Einstimmungsspiel. Ich bewege meine Hände, meinen Körper auf unterschiedliche Weise, alle Kinder stimmen in die Bewegung ein, ahmen sie nach. Nun muss unbedingt Tobias etwas tun, er ist voller Tatendrang und möchte mehr erleben. Er darf alle anführen, fängt an zu stampfen, dann rhythmisch leicht zu hüpfen und macht verschiedenartigste Bewegungen. Bevor Tobias als Bewegungsanführer anfing, hat sich Amadou auf ein Zeichen von mir umgedreht, denn er darf erraten, wer der Anführer ist. Die Kinder bemühen sich, die Bewegungen genau auszuführen, sie aus dem Umkreis aufzunehmen, denn sonst wäre rasch erraten, wer anführt. Nach einiger Zeit ist es Amadou klar, wer die Bewegungen vorgibt. Tobias dreht sich kurze Zeit um, bis ein weiterer Anführer bestimmt wurde. Dann dreht sich Tobias wieder zur Kreismitte und versucht den neuen Anführer herauszufinden.

Bei diesem Spiel kann der Lehrer selbst durch seine anregenden Bewegungen humorvoll, energisch, beruhigend in das Geschehen eingreifen. Es kann dabei, wie bei vielen Spielen, in die kräftigsten Extreme gegangen werden, je nachdem, was die Kinder brauchen und was sich aus dem Prozess entwickelt. Bei diesem Spiel schlüpfen die Kinder mit Freude in die Bewegungen des Anführers hinein, nehmen sie aber immer aus dem Umkreis, der Peripherie auf.

Das gleiche Einstimmungsspiel lässt sich mit der Stimme fortsetzen. Die körperliche Bewegung wird mehr nach innen genommen. Es wird auf Vokale gesungen, leise, fast unhörbar auf verschiedenartige Weise gesummt, gehaucht, geblasen, vielleicht geschnalzt … Alle stimmen ein, versuchen miteinander zu verschmelzen, damit der «Anführer» nicht erraten wird. Dieses Spiel ist eine gute Vorübung für das freie Singen und Improvisieren. Auch hierbei kann der Lehrer seine Stimme spielerisch lenkend einsetzen, in einer anregenden, beruhigenden, humorvollen, friedlichen Art. Und höchst interessant ist es zu lauschen, auf welche Weise der Anführer singt, wie er gestimmt ist, welche Musik er in sich hat, wie er heute klingt.

Verschiedenartige Bewegungs- und Lauschspiele helfen, einen Hör- und Spielraum für die Kinder zu schaffen, in dem sie sich freudig, quellend, lauschend bewegen und selber zum Klingen kommen.

Ein anderes Beispiel: Es tun sich Paare zusammen. Eines der Kinder schließt die Augen und lässt sich vom anderen ohne Berührung, singend, summend, wie an einem silbernen Faden auf einer goldenen Spur durch den Raum führen. Dabei entsteht oft eine verdichtete, gleichzeitig weite Hörstimmung und ein hingebungsvolles, heiteres Singen in einer regsamen Atmosphäre. Danach freuen sich die Kinder (im Musik- oder Klassenraum) umherschwirren zu dürfen, leise und heiter zu einer vom Lehrer improvisierten Leiermusik sich bewegend (die Kinder haben Eurythmieschuhe an, damit sie auch mit den Füßen «hören»). Plötzlich verklingt die Musik, alle verharren freudig still, gespannt in ihrer letzten Bewegungsgeste, bis die Musik wieder einsetzt. Dann setzt ein durch Pausen gegliedertes Lied ein, wobei alle singend, tanzend umher hüpfen und in den Pausen stehen und auf verschiedene Weise klatschen etc.
(Liedbeispiel I: Melodie v. Pär Ahlbom)

Das fröhliche Durcheinander endet mit einem gemeinsamen Sprung und gleichzeitigem Klatschen am jeweiligen Ausgangsplatz. Das heißt, alle Kinder stehen wieder im Kreis bzw. im Klassenzimmer hinter ihren Stühlen. Einige Schulen haben in den unteren Klassen keine Tische mehr, sondern nur Bänke und Sitzkissen, wodurch ein viel größerer Bewegungs- und Spielraum entsteht und so eine intensivere Sinnesschulung stattfinden kann.

Ein weiteres Beispiel: Ist es gerade Winter und schneit es, schauen die Kinder voller Staunen aus dem Fenster. Sie lieben den vom Himmel fallenden Schnee. Ein Lied wie das folgende bringt dann viel Freude und Überraschungsmomente in den Unterricht.
(Liedbeispiel II, Riehm)

Bild, Bewegung und Melodie sind in diesem von P.M. Riehm vertonten Text (wie in vielen seiner Lieder) eine Einheit. Das Lied mit seinen fantasievollen und bewegten Bildern kommt dem kindlichen Bewegungsdrang entgegen und wird freudig in ein tänzerisches Bewegen übergeführt. In einer vertrauensvollen Atmosphäre kommt es zu einer frohgemuten Lebendigkeit des Singens, die ja noch mit dem ganzen Bewegungsleib des Kindes in Verbindung steht bzw. ihn anregen kann. Für die kindliche Entwicklung ist ein solch bewegtes Singen von großer Bedeutung. Die Kinder können sich dadurch mit der Stimme und dem ganzen Leib zum Ausdruck bringen. Die Bewegungen, die nach «außen» gehen, haben eine Rückwirkung auf das innere Wesen des Kindes. Manche Kinder entdecken so ganz neue Seiten von sich selbst, ihre Seele bekommt Flügel.

Ist es zu eng im Klassenzimmer, sollte Abhilfe geschaffen werden. Das Singen aus dem ganzen bewegten Leib heraus ermöglicht später, die Bewegung zu einem seelischen Innenerlebnis, zu einem verinnerlichten Singen werden zu lassen. Vom pädagogisch-musikalischen Gesichtspunkt aus ist es wichtig, Lieder auszuwählen oder zu komponieren, in denen sich Bild, Bewegung und Melodie in einer Einheit befinden. Manche Lieder und Spiele laden die Kinder geradezu dazu ein, sich freudig und frohgemut zu bewegen. Luftig leicht wie Schmetterlinge oder Wolken den Raum ergreifen, beschwingt und kraftvoll wie ein Rösslein seine Bahn ziehen …

Manche zurückgezogenen, ängstlichen Kinder muss man ein Stück des Weges ins Spiel hinein begleiten bzw. ein beflügelndes Bild mit auf den Weg geben. Der Lehrer kann durch seine eigene Bewegungsschulung und -freude oder auch durch Bilder Bewegungen anbahnen und anregen, die mit dem Freiheitswesen des Menschen zu tun haben und einem menschlichen Rhythmus angemessen sind. Bei den entsprechenden Versen, Liedern und Spielen wird der ganze Körper durch bewegt und in seinen rhythmischen und kreativen Möglichkeiten verstärkt erlebt.

Viel ist gewonnen, wenn dann von einem eher zurückgezogenen, ängstlichen Kind erlebt wird: Mein Leib wird von meinen Bewegungen mitgenommen, ich kann zuversichtlich meinen Weg durch das fröhliche Durcheinander (z.B. der durcheinanderwirbelnden Schneeflocken oder dahinsegelnden Wolken) finden. Kann man als Lehrer beobachten, wie bei Kindern, die in ihrer basalen Sicherheit beeinträchtigt sind, nach und nach füllige, quellende, freudvolle, spielerische Bewegungen auftreten, ist viel für ihre Entwicklung geschehen. Henning Köhler (2000) beschreibt solch ein Kind: «Und schließlich ist an seinem Gang, an seiner Haltung, an seiner Gestik abzulesen: Er muss die Leichtigkeit entdecken, den ‹inneren Tänzer›; er kennt noch nicht jene Ur-Erfahrung von Freiheit und Freude, die sich einstellt, wenn in vollen Zügen das Erlebnis ausgekostet werden kann. Mein Leib gehorcht dem inneren Tänzer. Er folgt meinem Willen. Er ist geschmeidig leicht. Ich kann ja fast fliegen – immerhin springen, tanzen, hüpfen …».

Das Schulkind will sich seelisch mit der Welt verbinden. Durch eine reiche und vielseitige Bewegungskultur (Eurythmie, Spielstunde, Musik, Hauptunterricht) kann die Seele fühlend und erlebend mit der Welt in Verbindung treten und klingend werden. Der erzieherische Ansatz der Bewegung liegt in dem Bestreben, «die Körperbewegung des Kindes aus dem geistig-seelischen Erlebnis herauszuholen … Da bewegen wir mit dem Seelischen zusammen, das sein Körperlich-Physisches nach sich zieht» (Steiner, GA 302). Die Seelen der Kinder sind vertraut mit Bildern, Rhythmen und Gebärden in der Bewegung. Ihr Leib ist durch plastische und musikalisch-sprachliche Kräfte aufgebaut (Kranich 1983). Auch in der Nacht begegnet die Seele dieser kosmischen Seite der Bewegung. Schaffe ich es als Lehrer, die Kinder an diese Seite der Bewegung anzuschließen, kann sich daraus ein individuelles Verhältnis zum Leib entfalten. Es geht nicht um ein Bewegungsschema, um die Spezialisierung von Bewegungen, sondern um freie Bewegungen, die den Körper mitnehmen – um überfließende, spielerische, füllige Bewegungen.

Die Seele will anknüpfen an Bekanntes. Kann sie das nicht, entsteht Angst. Lässt man die Kinder Bewegungen (z.B. Mutproben) ausführen, die nicht aus der Bewegungslust, aus dem Spielerischen, aus der Fülle kommen, schafft dies später Lebensprobleme. Nicht aus perfekt geübten, überformten, sondern aus freien Bewegungen kommt die mutige Urteilskraft, die Fähigkeit, die Welt frei denkend, fühlend und wollend zu erfassen. So kann, wie es Werner Kuhfuss (1992) schreibt, bei Bewegungen, Übungen, Mutproben, die Frage im Hintergrund stehen: «Öffnen sie das Verständnis für die Welt, geben sie Mut, Schicksal zu bewältigen?»

Auch das Chaos, das heute als Folge des von Rudolf Steiner beschriebenen Übergangs über die Schwelle entsteht und in uns allen da ist, kann durch Spiel auf natürliche Weise geordnet werden. Das zugelassene, riskierte Chaos kann im Spiel verdaut werden und daraus kann neue Ordnungsfähigkeit hervorgehen. In dieser Hinsicht ist vieles an dem folgenden reigenartigen Lied von Pär Ahlbom erfahrbar.
(Liedbeispiel III Regentropfen)

Die Kinder stehen zu Beginn im Kreis, dann gehen sie trippelnd singend zur Mitte, klopfen, patschen wie Regentropfen mit Fingern oder Händen auf den Boden, gehen rückwärts zum Ausgangsplatz und «segeln» frei wie Wolken, jeder seinen Weg suchend, durch den Raum. Kommt dann der Wind, werden die Wolken auseinandergetrieben, die Kinder fassen sich rasch an den Händen, damit ihnen der Wind nichts anhaben kann, und wehen einmal rechts und links herum im Kreis. Scheint dann die Sonne, stehen alle ruhig am Platz und öffnen die Arme zur Sonne. Zusammengefasst sieht der Ablauf so aus: Aus dem Kreis in die freie Bewegung, durch das fröhliche Durcheinander der dahinsegelnden Wolken, ruhig den eigenen Weg suchend, hinein in das energische Wehen, verbunden im Kreis und wieder zur Ruhe finden.

Für eine kleine Zeitspanne kann hier jedes Kind frei als Wolke segelnd einen Weg suchen, wagen, der ja immer im gemeinsamen Bewegen, durch den lebendigen Umkreis in der Begegnung mit den Mitschülern geschaffen werden muss. Dabei wird ständig vorgefühlt, freudig ein neuer Weg gewagt und eingeschlagen. Das Kind kommt hierbei ins Spiel, mit allen auf es zukommenden Einengungen und Hindernissen, und findet frohgemut seinen Weg durch freie, pulsierende, atmende, spielerische Bewegung im Zwischenraum. Hierbei erfährt es seine eigene Lebenslust – Lebensfülle, die es nährt, stärkt und erquickt und die sich gegen nichts wehren muss. Solche Reigen, Spiele, Situationen im Großen und Kleinen müssen geschaffen werden, um die freie Bewegung für die Kinder zu ermöglichen. Spiel kann Chaos verdauen, indem es im Fluss geordnet wird.

Durchaus wollen die Kinder auch ihre Kräfte messen. Hierzu eignen sich lustige therapeutisch wirksame Balg- und Ringkampfübungen. Solche Balgspiele wecken das Behagen und schaffen Ausgleich zu der Verarmung des Körpererlebens vieler heutigen Kinder.

Vonseiten des Lebenswillens, der Lebenslust, der basalen Sinnesentwicklung aus betrachtet, sind viele Kinder nicht bzw. nur bedingt schulreif. Es muss eine Nachreifung, Belebung, Harmonisierung der Sinne und des Lebenswillens in der ersten Schulzeit gepflegt werden. Meiner Erfahrung nach sind hierbei die Balg- und Ringspiele eine wichtige Hilfe. Friedensfördernde «Kampfspiele», ganz aus dem Musikalisch-Eurythmischen heraus, in denen es nicht um das Gewinnen, sondern um den Ausgleich der Kräfte geht, können darauf aufgebaut werden. Der musikalische Ansatz ergreift die Kinder mehr von der Seite der freien, lichten Bewegung aus dem Umkreis. Er bringt die «Blüten» hervor, verleiht den Kindern Flügel. Der plastische Ansatz über das Balgen und Ringen ergreift den Körper, unterstützt die Willenskräfte, versucht das Dunkel des Widerstandes im Zusammenleben des körperlichen aufzulichten, zu durchwärmen und zu gestalten. Lernt das Kind im Spiel mit der Enge umzugehen, sich aus ihr zu befreien, wird späterer Lebensangst vorgebeugt.
Mit Kindern im Spiel – die musikalische Stimmung

Nachfolgend werde ich einige Gesichtspunkte, auch ganz persönlicher Art, schildern, die von Bedeutung sein können, mit Kindern ins Spiel zu kommen, in eine tragende musikalische Stimmung.

Eine freilassende innere Fragehaltung – wer bist du? –, sich einstimmen und einfühlen auf das Du des Kindes schafft eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der sich das Kind gerne zeigt und öffnet. Schau her, hier bin ich! Im Klang einer solchen Begegnung kann eine tragende Kraft widertönen.

Im Zusammensein mit Kindern ist es nicht nur förderlich, die Stimmung der Kinder, sondern auch die eigene Stimmung und Befindlichkeit in ihrer Wirkung zu beachten. Wie schaue ich die Kinder an? Im Blickkontakt kann sich vieles abspielen. Wie spreche ich, wie singe ich, ist meine Stimme durchlässig, einladend, können die Kinder darin wohnen? Bin ich geerdet? Wie ist mein Umraum, wie sind meine Gesten …? Schafft es der Lehrer, in sich und seiner Liebe zur Arbeit zu ruhen, geht von ihm eine tragende Kraft auf die Kinder über, sie fühlen sich sicher und wohl. Viele Machtkonflikte und scharfe Spannungen können vermieden werden. Der Lehrer kann von vielen Seiten mit und durch die Stimmung wirken. Werner Kuhfuss (1997) hat sicher recht, wenn er schreibt: «Die Stimmung ist das eigentlich pädagogische Element, das heilt, trägt, verbindet, aber auch objektiviert und das ‹Soziale› darstellt.»

Stimmung hat mit der Peripherie, mit Umkreis zu tun, nicht mit der scharfen auf einen Punkt gerichteten Aufmerksamkeit. Sie hat zu tun: Mit dem Hinlauschen auf die Kinder, auf die Menschen, auf das menschliche Leben und seinen tragenden Grund. Mit der Frage nach Ungehörtem und Ungewohntem, das in das Leben hereinbrechen will. – Mit der fühlenden Wahrnehmung, die Kühlewind (2000) als den sanften Willen beschreibt. Mit dem Hineinhorchen in das zarte umkreisartige Leben der Erde. Übt man sich mit der fühlenden Wahrnehmung, an Naturstimmungen und -bewegungen – dem fließenden Wasser, den Wolken, dem Gesang und Flug der Vögel, dem Arbeitsgesang der Bienen –, kommt man dem Phänomen Stimmung näher. Indem ich zum Beispiel einen Bussard beobachte, seine Bewegungen in mich hineinnehme, ihm zeitweise mit geschlossenen Augen «nachlausche», ihn innerlich hinfühlend begleite, versuche, seinen Flug vorzuahnen …, bekomme ich auch Anregungen, die Qualität von Bewegungen zu beurteilen und selbst Bewegungen für Kinder im Spiel anzuregen, die füllig, quellend, aber auch leicht und weit sind.

Von der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts geht eine impulsierende Wirkung auf das Zusammensein mit den Kindern aus. War der Schulalltag oder die Konferenzarbeit allzu lastend, kann es hilfreich sein, sich in der freien Natur lebhaften Eindrücken hinzugeben, alles Schwere zu vergessen bzw. umzuwandeln und eine Aufheiterung der Seele zu vollziehen. Lieder, Verse, Geschichten können auch gut im Gehen, in Bewegung erlernt oder aufgefrischt werden, wobei man die Kinder in Gedanken um sich herum hat – so kommen im Unterricht vielleicht eher die richtigen Einfälle und Ideen und eine anregende, bewegte Stimmung auf. Mir hilft es oft, wenn ich mich in Bewegung, klatschend, frei singend, vielleicht tanzend auf den Unterricht vorbereite, einstimme und so die nötige Freude und Beweglichkeit zu den Kindern bringen kann. Es gibt viele Möglichkeiten, wie ich als Lehrer klingend werden kann. Auch die Nachbereitung hilft hier. Was war fruchtbar? Wo waren besondere Momente? Was sollte auf jeden Fall weitergeführt werden? Wie waren die Begegnungen mit den Kindern, der Kinder untereinander? Was habe ich geistesgegenwärtig, vielleicht völlig Neues, Unerwartetes getan? Kam etwas zum Fließen, etwas Überraschendes, Weiterführendes aus dem Prozess selbst heraus? Wo und warum traten Schwierigkeiten und Probleme auf?
Der kalte und der warme Wille

Im ruhigen Verweilen, auch wenn es scheinbar zeitlos geschieht, entsteht ein Gegenstrom gegen das, was rasend vorwärts drängt. Diesen Gegenstrom gilt es allmählich pflegend hervorzurufen. Durch ihn entsteht ein Sinn für das uns Angemessene. Das bewusste Nicht-Tun, das Verweilen ist ein Quell für den warmen Willen. Dieser warme Wille ist das Gegenteil von kalter Pflichterfüllung. Er hat auch zu tun mit den Wirkungen der Nacht, von Traum und Schlaf, mit dem Schöpferischen in uns. Kuhfuss (1996) beschreibt diesen Sachverhalt in seinen Gedanken über Erfahrungen mit dem Willen ausführlich: «Der kalte Wille ist schematisch und soll erfüllen, was allgemein bekannt und vorgegeben ist. Der warme Wille wird unvermittelt erfüllt von gänzlich Neuem, das schöpferisch im Tun erkannt wird. In ihm wirkt ein Orientierungssinn. Der kalte Pflichtwille …ist Absicherung. Insgeheim ist er aber orientierungslos und muss immer Anlehnung suchen in dem, was das System fordert.»

Diesen warmen Willen kann man auch in der kleinsten Handlung erüben. Es entsteht ein Gefühl der Ruhe und Befriedigung. Aus einer kleinen Handlung, Bewegung kann sich eine unsichtbare Wirkung, ja positive Lebensveränderung ergeben, wir müssen ihr nur treu bleiben.Aus der «Andacht zum Kleinen», die Rudolf Steiner besonders den Heilpädagogen empfiehlt, entsteht ein wachsendes Situationsbewusstsein, das sich bis hin auf die unwilligen Handlungen der Kinder auswirken wird. Dadurch kommen wir in das Geschehen des Augenblickes und der Gegenwart und müssen nicht den abstrakten Bildern der Pflichtvorstellung nachjagen. Aus dem momentanen Geschehen kann uns Neues entgegenkommen. Wir werden in unserer Fantasie durch neue Einfälle aus den Zusammenhängen, aus dem Umkreis angeregt. «Die Kinder spüren, dass aus dem Zwischenraum, aus dem Prozess, in dem sie selber sind, die Anregung kommt, die gemeinsam weiterführt» (Kuhfuss 1990). Das Aufmerksamwerden auf den Umkreis erfordert allerdings eine Steigerung des Ich-Bewusstseins in einen höheren Aufhellungsgrad hinein.

Was soll jetzt werden? Was fordert der Prozess? Wie lassen sich die Abläufe gestalten, nach welchen Intuitionen? Die Offenheit des Augenblickes in seiner Fülle von Möglichkeiten zu erleben, ist das Erleben der Geistesgegenwart. «Der Augenblick … ist auch der Ort des Zusammentreffens von Innen und Außen, der Begegnung des Ich mit dem Umkreis, mit dem zweiten Leben der Seele in den Dingen. Der Augenblick trifft ein, wenn die Dinge zu sprechen beginnen» (Röschert 2002). Dies bringt auch Kühlewind (2000) zum Ausdruck: «Je mehr ‹mein Wille› zurücktreten kann, desto stärker wird der von außen, von der Sinneswelt, von der Seelenwelt, von der Geisteswelt an uns heranbrandende Wille in allem erfahrbar, was gestaltet ist.» Das Dargestellte ist ein Weg, die Intuitionen zu stärken, der Versuch, geistesgegenwärtig in einen gegenseitigen Prozess mit den Kinder zu kommen, das Stimmige, Wachsende, Weiterführende zu finden.
Wiederbelebung des Spiels – Ermöglichung des Kindseins

Was Spiel ist, kann nur verstanden werden, wenn man spielt, sich als ganzer Mensch auf das Spiel einlässt. Spiel hat nichts zu tun mit Zweck- oder Nützlichkeitsdenken, sondern mit der freien Entscheidungsfähigkeit des Menschen. Spiel im Sinne Schillers hat zu tun mit dem von Georg Kühlewind beschriebenen «sanften Willen», worauf bereits hingewiesen wurde. Dieser «sanfte Wille» kann durch die Spielübungen erfahren und ausgebildet werden. Spiel verhilft zu einem körperlich-seelisch-geistigen Situationsbewusstsein, in dem kindliche Unvollkommenheit und überlegener Humor sich durchdringen. Indem der Erwachsene das Spiel übt und liebt, kann er das Spiel, das heute in Gefahr ist, wiederbeleben und stärken. Das gesunde Kind ist am reinsten Spiel. «Die Quelle zum Spiel beim Kinde freizulegen ist der Beginn aller Erziehung» (Kuhfuss 1992). Im Spiel mit Kindern lernen wir diese Menschenkraft kennen, öffnen wir uns den Kindheitskräften. Das Spiel als eine Tätigkeit im Seelischen des Einzelnen, das innere Spiel und das Spiel zwischen den Menschen kann zum Lebensquell werden. Für das Kind ist das Spiel das, was für den Embryo das Fruchtwasser ist.

Was wir unmittelbar mit unseren Sinnen begreifen, berührt uns und bringt uns zur Besinnung. In unserer alltäglichen, technisierten und medialisierten Lebenswelt werden aber die Sinne nur beschränkt und teilweise angesprochen. Es kommt zu einer distanzierten Betrachtungsweise der Wirklichkeit. Durch diese Entfremdung verlieren wir weitgehend unbemerkt den Kontakt zu uns selber. Um diesem Sachverhalt entgegenzusteuern, brauchen wir, wie es Kükelhaus (1982) und andere fordern, Erfahrungsfelder der Besinnung für unsere Kinder.

Durch die aufgezeigten Entwicklungen wird all das Runde, das quellende des Kinderspiels weniger. Die Kinder werden spielärmer. Das Kind ohne Spiel wird eines Großteils seiner Lebensfreude beraubt. Viele Probleme, Ausbrüche von Kindern sind kleine Psychosen, fehlende Möglichkeiten, sich kreativ zu betätigen, Verzweiflungen aus Spielmangel. Kinder im Spiel sind identisch, ihre Aufmerksamkeit ist fließend. Frohgemutes Angeregtsein und spontane Freude sind Kennzeichen dieses Gefühls des Fließens. Daniel Golemann (1997, S. 119 – 125) beschreibt dieses Phänomen des Fließens: «Es ist ein Zustand, in dem man ganz in dem aufgeht, was man tut, ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt, wo das Bewusstsein nicht mehr vom Handeln getrennt ist.» Entspannung und hohe Konzentration sind beim Fließen gleichzeitig vereint. Lernen und Fließen stellen für Golemann geradezu ein zukünftiges Modell für Erziehung dar. Auch in dem Wort Rhythmus (rheo [griech.] = ich fließe) kommt dieses Fließen zum Ausdruck. Kinder und Erwachsene können in einem rhythmischen Arbeitsgeschehen (z.B. beim Schnitzen von Klanghölzern etc.), in der Musik, in einen dynamischen Zustand mit sich selbst kommen. Dabei werden ganzheitliche Kräfte evoziert, d.h. ein Zusammenspiel von körperlicher Bewegung, seelischer Bewegtheit und geistiger Beweglichkeit bewirkt. Diesen lebendigen, fließenden Rhythmus gilt es im Spiel in der Musik, im praktischen Tun zu pflegen.
Schule für gemeinsames Bewegen im Spiel

Seit vielen Jahren habe ich mich mit Spiel und seinen Wirkungen auf Kinder und Erwachsene vor allem praktisch auseinander gesetzt. In der Anleitung von Spielgruppen mit Erwachsenen in verschiedenen Arbeitszusammenhängen konnte ich immer wieder erfahren, was Spiel vermag, wenn man sich darauf einlässt. Wichtige Anregungen erhielt ich durch Begegnungen mit Pär Ahlbom, Julius Knierim, Franz Lang u.a., vor allem aber durch die Arbeit von Werner Kuhfuss.

Ausgehend von Schillers «Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen», inspiriert durch eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Musikern Julius Knierim und Pär Ahlbom sowie durch Begegnungen mit dem Naturwissenschaftler Frits Hendrik Julius hat der Heil- und Kulturpädagoge Werner Kuhfuss seit Ende der 1960er Jahre Gruppenübungen entwickelt, «die modellhaft soziale Verläufe künstlerisch erfahrbar machen» (Kuhfuss). Diese Ansätze, in deren Zentrum die Bemühung um eine Erneuerung des Spiels wie auch der von Rudolf Steiner angeregten rhythmisch-musikalischen Arbeit steht, werden heute europaweit an verschiedenen Orten gepflegt und für verschiedene Arbeitsbereiche weiterentwickelt, sodass man von einer beginnenden «Schule für gemeinsames Bewegen im Spiel» sprechen kann. Sie hat den Namen «KALLIAS» nach Friedrich Schillers gleichnamiger Schrift, in der das soziale Urphänomen des Umganges miteinander als Tanz beschrieben ist. Der Gegensatz von «Behaupte deinen Willen» und «Schone fremden Willen» wird in gesetzmäßig-freie Bewegung übergeführt, als Beginn einer sozialen Kunst.

Peter Waller (l)


Literaturverzeichnis

Ahlbom, Pär (1986): Die Sonnentrommel, Edition Bingenheim.
Golemann, D. (1997): Emotionale Intelligenz, München.
Köhler, H. (2000): Vom Wunder des Kindseins, Stuttgart.
ders. (2001): «Verhaltensstörung oder Verhaltens-Originalität», in: Recht auf Kindheit – ein Menschenrecht, Hrsg. Internationale Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V.
Kuhfuss, W. (1985): Plastisch musikalisch; aus dem Worte zusammenwirken, im Selbstverlag.
ders. (1992): Spiel ist, im Selbstverlag.
ders. (1996): Der Ochs und sein Hirte – Gedanken über Erfahrungen mit dem Willen, im Selbstverlag.
ders. (2003): Merkblatt: Kallias. Schule für gemeinsames Bewegen im Spiel – Belebung des Sozialen durch Bewegung.
Kühlewind, G. (2000): Der sanfte Wille, Stuttgart.
Kükelhaus, H. (1982): Entfaltung der Sinne, Frankfurt/M.
Kranich, E.M. (1983): «Vom Wirken der plastisch-architektonischen und der sprachlichen-musikalischen Kräfte», in: Erziehung und Meditation, Hrsg. Jörgen Smit, Verlag am Goetheanum.
Riehm, P.M. (1988): Paul Schaub, P.M. Riehm, Lieder für die Unterstufe, Edition Bingenheim.
Röschert, G. (2002): «Zentrum und Umkreis», in: Das Goetheanum 42/2002.
Schiller, Fr. (1989): Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Mit Ausführungen Rudolf Steiners über Wesen und Bedeutung von Schillers Ästhetischen Briefen. Vorwort Heinz Zimmermann, Verlag Freies Geistesleben.
Steiner, R. (GA 302): Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung.